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Newsletter n°2: Bericht von Kathleen Bühler

FieldworkIIIin Bielvom 5.–19. März 2017

Bericht von Kathleen Bühler

Die Vorarbeiten für dieRobert Walser-Skulpturvon Thomas Hirschhorn sind schon in vollemGange. Nachdem bei der letzten Feldforschung das Kontaktknüpfen mit Bielerinnen und Bielersowie das Informieren über das geplante Projekt im Vordergrund stand, rückte im März dasvertiefte Gespräch mit Interessent/innen ins Zentrum, welche mit Thomas Hirschhorn zusammendie«Robert Walser-Sculpture»–der Titel wird neu der Zweisprachigkeit der Stadt gerecht–bauenund realisieren wollen. Als Kuratorin habe ich ihn wieder begleitet.

Auch Enrique MuñozGarcía, unser Fotograf und Feldforschungsassistent war wieder mit dabei. Dennwir möchten diesen Prozess dokumentieren, so dass einerseits alle, die daran interessiert sind,immer wieder auf der Website sehen können, wo wir gerade stehen, und weil andererseits ein Buchdaraus entstehen soll, welches dieses Projekt von Anfang bis zum Ende mitverfolgt-sofern dasüberhaupt möglich ist. Denn wenn die«Robert Walser-Sculpture»im nächsten Sommer beginnt,dann werden so viele Dinge parallel passieren, dass esschwierig sein wird, alles festzuhalten. So wares bisher bei allen Thomas Hirschhorn-Präsenz und Produktions-Projekten. (So heissen sie deshalb,weil der Künstler die ganze Zeit präsent ist und vor Ort etwas produziert.) „Flamme éternelle“ (Paris2014) beispielsweise war eine grosse Lagerstelle im Palais de Tokyo, an der Menschen diskutiert odereinem Philosophen gelauscht haben. An einer anderen Stelle des mit aufgestapelten Pneusstrukturierten Geländes haben junge Leute menschengrosse Styropor-Figuren geschnitten und eswurde täglich an der aktuellen Zeitung gearbeitet. Dies sind Elemente, welche in der«Robert Walser-Sculpture»auch wieder vorkommen werden. Es wird eine Werkstatt geben, wo die Besucher/innenarbeiten können. Es wird Vorträge von RobertWalser-Expert/innen und-forscher/innen geben,welche dem Publikum erklären, weshalb sie Robert Walsers Werk bedeutend finden. Es wird täglicheine Zeitungerscheinen, zum, über und von der«Robert Walser-Sculpture». Doch dann natürlichnoch viel mehr: eine Fernsehstation, welche täglich sendet, zwei mit Sägemehl bestreute Kreise, indenen täglich ein Hosenlupf zu sehen ist, wie ihn Karl und Robert Walser einmal in Berlin vorgeführtund dabei den Schriftsteller Frank Wedekind verschreckt haben. Es soll eineAusstellung geben, dieThomas Hirschhorn mit Werken und Zeugnissen von Karl und Robert Walser ausstattet, um das nichtbegreifliche „Kreuz von Erfolg und Misserfolg“ zu zeigen, welche die beruflichen Laufbahnen vonRobert und Karl Walser gezogen haben. Der eine war berühmt und erfolgreich und fiel nach seinemTod der Vergessenheit anheim, während der andere,zu Lebzeiten nur Wenigen bekannt,erst nachseinem Tod zu Ruhm kam.

Mit diesem Fernziel vor Augen haben wir uns am Montag, 6. März auf den Weg gemacht, um 75Menschen in Biel, Basel oder Wädenswil zum Gespräch zu treffen. In der Zwischenzeit hat ThomasHirschhorn wichtige künstlerische Entscheidungen gefasst. Er möchte nicht mehr, dass die«RobertWalser-Sculpture»in Satelliten über die ganze StadtBiel verstreut ist, sondern dass alle Aktivitätendarum herum an einem zentralen Platz stattfinden. Man könnte den Grund dafür „learning fromManifesta“ nennen. Die grosse Kunstausstellung, welche letzten Sommer in Zürich stattfand und denkecken Titel „What People Do for Money“ trug, war–neben den Ausstellungsräumen im Löwenbräuund im Helmhaus–in die Berufswelt Zürichs eingenistet und erstreckte sich über die ganze Stadt.Wie viele Besucher/innen berichteten, war der Versuch, sich ausserhalb der Kunstwelt zu situieren,gut gemeint, doch wurden dann doch wieder nur die Hauptzentren der Kunst im Helmhaus undLöwenbräu besucht, weil die Öffnungszeiten der Satelliten variierten und der extra designte Manifesta-Stadtplan als Orientierungshilfe nicht wirklich taugte. Dies soll in Biel anders ein. Wennjemand darauf wartet, ganz in Walser’scher Manier auf einen Spaziergang mitgenommen zu werden,dann könnte es sein, dass diese Person gleichzeitig einen Hosenlupf bestaunen kann und die neuesteAusgabe der Zeitung in die Hände gedrückt bekommt. Oder sie hört beim Warten dem PhilosophenGiorgio Agamben zu, wie er seine Liebe zu Robert Walser mit Beispielenpräsentiert.

Für Thomas Hirschhorn ist der ideale Platz für die«Robert Walser-Sculpture»der Bahnhofplatz.Ungeachtet der logistischen, politischen und organisatorischen Probleme, die das aufwerfen könnte,gibt es gute künstlerische Gründe dafür. Robert Walser beschreibt viele Situationen an Bahnhöfen.Der Bahnhof ist ein ur-schweizerisches Phänomen, das mit seinem kleinteiligen Verbindungsnetz dieWillensnation Schweiz zusammenhält. Und während in vielen Städten selbst Taxifahrer den Weg zumKunstmuseum nicht kennen, wissen sie immer, wo der Bahnhofplatz ist. Es ist das erste, was manvon Biel sieht, wenn man per Bahn anreist (gibt es noch Unkluge, die das nicht tun?) und es stehtbereits eine Skulptur dort, nämlich „Vertschaupet“ (1979/1980) von Schang Hutter. Um RobertWalser in einer grossangelegten „Skulptur“ zu würdigen, würde man sie nicht verschämt hinterdenBahnhof auf den Robert Walser-Platz stellen, sondern mit der Aufmerksamkeit, die ihr 12 Wochenlang auf dem prominenten vorderen Platz zukäme, den hinteren nachhaltig vitalisieren.
In den zwei Wochen der Feldforschung wurden also Gespräche der letztenFeldforschungweitergeführt, neue Interessent/innen getroffen, mögliche Kooperationen abgetastet, ein breitangelegter Prozess weiter genährt, der im August wieder in eine Feldforschungswoche mündet.

Kuratorische Aufgabe

Meine Rolle als Kuratorin war wiederum diejenige einer „teilnehmenden Beobachterin“. DieGespräche mit den Interessent/innen dauerten zwischen einer halben und einer Stunde und dabeimussten alle Ohren und Augen offen sein, damit keine Missverständnisse entstehen und wirklichetwas ins Auge gefasst wird, welches beiden Seiten entspricht. Die Hauptfrage war immer „was istihre Kompetenz im Hinblick auf die«Robert Walser-Sculpture»“? Was macht diePerson, was ist ihrAnliegen, das in die«Robert Walser-Sculpture»einfliessen könnte? Ist verständlich, dass dies keinePlattform für andere schon bestehende Kunst ist, sondern alle Aktivitäten zusammen „die Kunst“bilden? Eine solche Kooperation ist anspruchsvoll, Thomas Hirschhorn verlangt wirklichesEngagement über die 12 Wochen Dauer hinweg. Also kein Sonntagsspaziergang, dafür eineErfahrung, die vielleicht sogar das Leben verändert. Zumindest bei mir sind erste Veränderungenspürbar.

 

Kathleen Bühler, 2.04.2017

Bildergalerie

Fotos:© Enrique Muñoz García